Der Krieg der anderen

Ernst Trummer, 29.5.2022  
Dieser Text ist in adaptierter Fassung Ende April 2023 in verschiedenen Publikationen der Verlagsgruppe CH Media erschienen

Nikolay Choles hat das Konzept des selbstfahrenden Autos um eine neue Dimension erweitert: Während sein schwarzer Tesla auf den Straßen Moskaus unterwegs war, diente er als russischer Soldat in der Ukraine. Dummerweise wurde sein Wagen wegen Schnellfahrens auch noch geblitzt. Ein Software-Fehler? Wohl auszuschließen. Jemand anderer am Volant? Genauso unwahrscheinlich. Freunde berichten, dass er seinen geliebten Tesla nie in fremde Hände gab. Und: Choles ist als notorischer Raser amtsbekannt, in einem Jahr soll er es auf rund hundert Anzeigen gebracht haben.

Choles‘ ursprünglicher Name ist Nikolai Peskow, er ist niemand geringerer als der Sohn von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Nach der Trennung seiner Eltern ging er mit seiner Mutter nach England, wo er den Namen seines Stiefvaters annahm. Dort geriet der junge Choles bald in Konflikt mit dem Gesetz: Handy-Diebstahl, Raufhandel – „Kavaliersdelikte“ eines gelangweilten Jugendlichen, der kein Ziel und keine materiellen Sorgen kennt. Die Aufdecker rund um Alexei Nawalny haben sich den schrillen Lebenswandel Peskows, der bald wieder nach Moskau zurückkehrte, genauer angesehen: Partys, Luxuswagen, Privatjets. So weit, so unspektakulär, typisch für die verwöhnten hohen Söhne und Töchter der russischen Neureichen. Mit der eingangs erwähnten Tesla-Episode wurde die Geschichte von Peskow Junior jedoch zur politischen Farce:

Angefangen hat alles letzten September, als Dmitri Nisowzew, ein Journalist aus dem Nawalny-Team, unmittelbar nach Ausrufung der Mobilmachung einen telefonischen Rundruf bei den Söhnen hoher Staatsdiener startete. Er gab sich als Offizier des Militärkommandos aus und forderte die jungen Herren auf, sich am nächsten Tag einzufinden und für den Kriegsdienst in der Ukraine zu verpflichten. Prominentestes Opfer seines Telefon-Pranks: Nikolai Peskow, der verhaltensauffällige Filius von Putins Sprachrohr. Der war erwartungsgemäß wenig begeistert von der Idee, für Wladimir Putin in den Krieg zu ziehen, und beschied dem vermeintlichen Herrn Major, er werde die Frage seiner Einberufung an höherer Stelle klären lassen. Schnell machte der Prank in den Medien die Runde. 

Umso größer war jetzt, ein halbes Jahr später, die Überraschung, als es plötzlich hieß, dass eben dieser Nikolai Peskow noch bis vor kurzem an der Front gedient habe. Und zwar nicht irgendwo als gemeiner Rekrut, sondern in der berüchtigten Söldner-Truppe „Wagner“. Deren Chef, Jewgenij Prigoschin, hat diese mediale Bombe auffallend beiläufig in einem „Feld-Interview“ mit einem russischen Militärblogger platzen lassen. Der alte Peskow habe ihn gebeten, seinen Sohn in seiner Truppe aufzunehmen: „Nimm ihn als einfachen Artilleristen.“ Bis zu den Knien im Dreck stehend habe der Junge brav am „Uragan“, einem Mehrfachraketenwerfersystem sowjetischer Bauart, gedient.

Schnell kamen Zweifel an der Geschichte auf: Einerseits die Episode mit dem Tesla. Dann der Umstand, dass Waffensysteme wie der „Uragan“ nicht einfach so „im Schlamm“ an der Front stehen, sondern üblicherweise vom geschützten Hinterland aus operieren. Sollte Peskow tatsächlich an diesem Geschütz gedient haben, dann in sicherer Entfernung von der Front. Nur: es gibt keine Zeugen, die seinen Einsatz bestätigen könnten. 

Diese Defizite versuchte Prigoschin durch weitere Enthüllungen wettzumachen. Letzten Sommer habe sich Peskow-Vater an ihn gewandt: Sohn Nikolai habe sich in den Kopf gesetzt, in der Ukraine zu kämpfen, und lasse sich nicht mehr davon abbringen. Er, Prigoschin, habe davon abgeraten, sich ans Verteidigungsministerium zu wenden. Dort würde er nur entweder im Stab versauern oder an der Front verheizt werden. Er habe deshalb angeboten, den Filius unter falschem Namen und mit falschen Papieren in seiner Söldner-Truppe aufzunehmen. 

Wie zum Beweis tauchte dann auch noch ein Video auf, das den jungen Peskow zeigen soll. Dumm nur, dass die Männer in dem Clip, wie bei „Wagner“ üblich, allesamt vermummt sind. Dann noch ein Foto von einem jungen Mann, unvermummt und in Tarnuniform. Aber auch dieser „Beweis“ hat einen Schönheitsfehler: Auf dem Foto ist im Hintergrund ausgerechnet der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko zu sehen! Wie die Nachrichtenplattform Populjarnaja Politika berichtet, stammt das Foto von der Angelobung von Poroschenkos Sohn. Was für eine Pointe!

Vater und Sohn Peskow ficht das alles nicht an. Der Senior gibt den Medien bereitwillig Auskunft, wie sehr er sich um seinen Sohn gesorgt habe, der Junior berichtet dem Tabloid „Komsomolskaja Prawda“, wie es ihm an der Front ergangen ist. Freilich ohne zu sehr ins Detail zu gehen. 

Und Jewgenij Prigoschin? Für den ist der ganze Zirkus eine Win-Win-Situation: Als einer, der Wert darauf legt, nicht zur alteingesessenen Elite zu gehören, kann er dem einfachen Volk zeigen, wie er dafür sorgt, dass auch die hohen Söhne ihren Dienst fürs Vaterland leisten. Gleichzeitig verschafft er genau dieser Elite einen wichtigen Glaubwürdigkeitsschub, wenn ihre Sprösse Seite an Seite mit gewöhnlichen Soldaten für „Wagner“ und damit für Russland kämpfen. 

Das Schema hat Potenzial: Schon berichtet Olga Romanowa von „Russland hinter Gittern“ auf ihrem Telegram-Kanal, dass angeblich auch der Sohn des Gouverneurs der Region Primorje bei „Wagner“ dient. Keck fügt sie hinzu: „Ein paar Selfies in Uniform und eine Bestätigung von Prigoschin. Und eine Medaille!“ Wenn das so weitergeht, wird bald eine Reihe wichtiger Männer Herrn Prigoschin einen Gefallen schulden.

Jedenfalls zeigt sich wieder einmal, dass im Krieg zuallererst das einfache Volk den Kopf hinhält. In Russlands Fall kommt noch ein starkes regionales Gefälle hinzu: Soldaten aus den Metropolregionen Moskau und Sankt Petersburg sind auf den Kriegsschauplätzen stark unterrepräsentiert, die meisten Rekruten kommen aus den strukturschwachen Regionen jenseits des Uralgebirges. 

Und was dem einen ein schwarzer Tesla, ist dem anderen ein weißer Lada: Wir erinnern uns mit Schaudern an die Geschichte von den Eltern, die sich mit dem „Begräbnisgeld“ für ihren in der Ukraine gefallenen Sohn einen neuen Wagen gekauft haben. Genau so einen weißen Lada habe sich sein Sohn immer gewünscht, erzählte der Vater damals einem Fernsehteam. Sprachs und fuhr mit seiner Frau zum Friedhof, um das Grab seines Sohnes zu besuchen. Die Reportage wurde damals in ganz Russland gezeigt, außer in Moskau und Sankt Petersburg: falsche Zielgruppe!

Dmitri Nisowzew, der „Major vom Militärkommando“ konnte die Sache natürlich nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Er rief Peskow dieser Tage wieder an, erreichte aber nur die Mailbox: Peskow solle sich umgehend bei ihm melden, er verlange eine Erklärung, warum er der Ladung im September nicht Folge geleistet habe und warum er stattdessen bei diesem „Wagner“ angeheuert habe. Söldnertum sei strafbar! Noch dazu mit falschen Dokumenten!

Unterschätze keiner die subversive Kraft des Humors.

Quellen:

https://t.me/vchkogpu

https://lenta.ru/news/2023/04/21/peskov_vagner/

https://www.mk.ru/politics/2023/04/24/peskov-obyasnil-pochemu-ego-syn-nikolay-vybral-sluzhbu-v-chvk-vagner.html

https://www.mk.ru/politics/2023/04/24/peskov-priznalsya-chto-nervnichal-poka-ego-syn-nakhodilsya-v-zone-svo.html

https://www.mk.ru/politics/2023/04/23/prigozhin-otvetil-na-vopros-o-tom-ne-navredit-li-sluzhba-syna-dmitriyu-peskovu.htm

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