Nicht dein Ernst, oder? Streifzüge durchs staatliche russische Fernsehen, 5.11.22

Arsenij Vesnin für vot-tak.tv, frei übersetzt und kommentiert von Ernst Trummer 6.11.2022

Quelle: https://vot-tak.tv/novosti/05-11-2022-o-chem-molchit-tv/

„Es wird keine Verhandlungen geben.“ Acht lange Kriegsmonate schon rotieren die Propagandisten und mühen sich zu erklären, gegen wen Russland nun eigentlich kämpft. Putin bekämpft den Kolonialismus, hieß es, den Teufel, die ukrainischen Nazis oder die USA… Aber jetzt, so scheint es, hat man sich endlich zu einer verbindlichen Deutung durchgerungen: Die russischen Soldaten kämpfen für alles Gute und gegen alles Übel auf dieser Welt. 

Arsenij Vesnin analysiert Woche für Woche, worüber man im russischen Fernsehen spricht.

 

Ent-Satanisierung

In den sozialen Netzen hat der jüngste Telegram-Post von Ex-Präsident Dmitri Medwedew zur Frage, gegen wen Russland kämpft, schnell die Runde gemacht. „Unser Ziel ist es, den obersten Herrscher der Hölle, welchen Namen er auch immer gerade verwendet – Satan, Luzifer oder Iblis – zu stoppen. Denn sein Ziel ist die Vernichtung. Unser Ziel ist das Leben, seine Waffe – die hinterhältige Lüge“, so Medwedjew wörtlich.

Diese Worte haben jene, die auf Twitter und Telegram zuhause sind, ordentlich aufgescheucht, den durchschnittlichen russischen TV-Konsumenten werden sie nicht sonderlich schockiert haben. Vom Krieg gegen den Satan ist dort nämlich schon lange die Rede. Gleich nach der „Ent-Militarisierung“ und der „Ent-Nazifizierung“ tauchte der Spruch von der„Ent-Satanisierung“ auf. Erst unlängst geriet der konservative Ideologe Aleksandr Dugin in einer Live-Sendung hierüber in geradezu religiöse Verzückung.

„Das ist eine rechtgläubige, finale, apokalyptische, eschatologische Schlacht der christlich-orthodoxen heiligen Rus gegen die Horden des Anti-Christen“, so Dugin in seinem Versuch, die Fernsehzuseher für den heiligen Krieg zu begeistern.

Transgender, LGBT-Nazis und der Aufstand der Sepoys

Und was heißt nun eigentlich „Ent-Satanisierung“? Die Chefin von Russia Today, Margarita Simonjan, zum Beispiel, glaubt, dass es im Krieg darum geht, dass ihre Töchter weiterhin Kleider tragen dürfen:

„Die westliche Welt ist in eine Sackgasse geraten. Und wenn die Welt diesen verrückten Vektor beibehält, dann ist das der Weg Richtung Untergang der Menschheit. Dafür braucht es dann gar keinen Krieg mehr. In 50-100 Jahren bleibt niemand mehr übrig, der Kinder kriegen könnte. Mit diesen Hormontherapien, diesen Pharmalobbys, mit ihrer Eliminierung der Mentalitäten ganzer Nationen…“ Nach Simonjan ist es besser zu sterben, als so zu leben wie im Westen: „Ich möchte in so einer Menschheit einfach nicht leben. Dann lieber gleich ins Paradies, wie Putin gesagt hat. In einer Welt zu leben, in der ich meiner kleinen Tochter kein Kleid anziehen darf, ich meinem Sohn nicht sagen darf, dass er ein Junge ist… Für mich ist das schlimmer als Krieg.“

Simjonan hat sogar ihren Irrtum eingestanden: Am 24. Februar hatte sie nämlich noch geglaubt, dass der Krieg gegen „die bösen Kräfte in der Ukraine“ ginge, aber jetzt sei ihr klar, dass es um den Kampf „gegen die kollektive westliche Welt, eine mächtige, hochgerüstete, erfolgreiche, absolut gestörte und vollkommen ungebildete Welt“ gehe.

Für den TV-Moderator Wladimir Solowjow bleiben aber trotzdem die Nazis der Hauptfeind. Die sich im Übrigen von den Anhängern Hitlers unterschieden: Der ultranationale Transgender-LGBT-Nazismus – das ist der größte Feind der gesamten russischen Welt, ist Solowjow überzeugt.

Der Kolonialismus ist noch so eine Erscheinungsform des Satans, wenn es nach der russischen Propaganda geht. Die brutale Niederschlagung des Aufstands der indischen Soldaten vor über 150 Jahren ist ein starker Beweis dafür, dass Britannia ein Imperium des Bösen ist, belehrt man uns von den Bildschirmen herab.

Es wird keine Verhandlungen geben

Ziel der westlichen Welt ist es, alle russischen Menschen in kleine Zellen in Zoos zu stecken. Das versucht Dmitrij Jewstafjew, seines Zeichens “Spezialist für militärisch-politische Fragen für die nationale Sicherheit Russlands”, den Fernsehzusehern zu vermitteln. 

Zuschauer, die diese ganzen diabolischen LGBT-Drohungen hören, müssen sich wohl oder übel die Frage stellen: “Kann der Krieg in der Ukraine denn überhaupt bald zu Ende gehen? Wenn das Ringen sich nicht um die Gegenden um Cherson oder Saporischschja dreht, sondern wenn es gegen Iblis höchstselbst in Gestalt britischer Kolonialherren geht?”

Wladimir Solowjow beantwortete eine entsprechende Frage mit folgender Gegenfrage: “Sind Sie sicher, dass da jemand sein wird, mit dem man Verhandlungen wird führen können?”

Aber vorerst, so scheint es, bereitet sich ohnehin niemand auf eine Waffenruhe vor. Und im übrigen, wenn man jetzt einmal all diese Fernseh-Spelze wegläßt: die Ukraine ist wohl auch gar nicht bereit, einen Frieden mit Russland zu schließen. Bleibt nur zu hoffen, dass Wladimir Putin nicht zu viel russisches Fernsehen schaut und die Worte vom Ringen mit Luzifer höchstselbst womöglich nicht auch noch ernst nimmt.

Die hier wörtlich angeführten Zitate zu den erwähnten Fernsehauftritten sind im Originalartikel als Videoausschnitte eingebettet. Sie sind weder der Phantasie von Arsenij Vesnin noch dem Schalk in mir entsprungen…

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