Featured Artists - A Gallery in Progress

Ernst Trummer, 3.11.2022  

Auf dieser Seite wollen wir Ihnen Künstler vorstellen, die wir interessant finden und die Sie vielleicht noch nicht kennen.  Wir wählen hierzu fürs Erste einmal die Form einer fortlaufenden Galerie und werden diese in unregelmäßigen Abständen entsprechend ergänzen.

Also – los geht’s!

3.11.2022

Shortparis

Meine Entdeckung der Gruppe Shortparis habe ich dem klugen Algorithmus von Youtube zu verdanken. Das in Sankt Petersburg ansässige Musiker-Kollektiv zählt zu den interessantesten Bands, mit denen das moderne Russland aufwarten kann. Und im Unterschied zu anderen Szene-Größen haben sich Shortparis (der Name wird angeblich nicht auf Englisch ausgesprochen, sondern so wie man ihn schreibt)  auch im nicht-russischsprachigen Ausland eine kleine, aber treue Fan-Gemeinde aufgebaut. Das verdankt sich zu einem nicht unwesentlichen Teil auch dem Umstand, dass die Videoclips zu Ihren Songs einfach erstklassig gemacht sind – gute Story, eindrückliche Bildsprache, professionelle Produktion.

So ist es wohl auch kein Zufall, dass Frontman Nikolaj Komjagin, ein ausgebildeter Kunstgeschichte-Lehrer aus dem westsibirischen Nowokusnjezk, nebenbei auch noch als Schauspieler in Film-Produktionen in Erscheinung getreten ist.

Am eindrücklichsten gelang Shortparis diese Symbiose aus Musik und bewegten Bildern im Clip zu einem ihrer bekanntesten Titel – Jablonnyj sad („Der Apfelhain“). Es gibt diesen Track auch in einer schrillen Elektropop-Version, aber in der Fassung zum Video ist die Musik sehr zurückgenommen, getragen nur von Piano, Akkordeon und Schlagzeug sowie der entrückten Stimme Komjagins. Kontrastiert wird das Arrangement durch den Einsatz eines originalen Veteranenchors aus dem Zweiten Weltkrieg, herausgeputzt in Paradeuniformen, der die Refrainstimme übernimmt. Die Lyrics sind nicht minder lakonisch, aber reich an Assoziationsstimuli. Unter dem Eindruck des zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung gerade erst ein paar Tage alten Krieges in der Ukraine hat dieser Videoclip eine eigentümliche Wirkung entfaltet.

Hier meine freie Übersetzung des Liedtextes:

 

Oh, mein Kummer,
Nie war ich hier.
Wo ist die Grenze, wo ein Rand?
Wer hat es denn gesehen?
Und wem gehörst du jetzt, zu wem?

Es schläft das große Land,
und ewig wirkt der Abend.
Über der Kathedrale im Kreml
hebt sich der Wind.

Der Fisch sucht das Netz,
der Körper die Abwechslung.
Klüger jetzt die Gewehrkugel,
nach all dem vielen Blut.

Und draußen der Soldat,
am süßen Bissen Brot erfreut er sich.
Ein Bruder ist er dir, ein Sohn.
Honigerblüht der Apfelhain.

Oh, mein Kummer,
wer sagt mir
wo die Grenze ist, der Rand?
Wer hat gesehen
wohin die Schlange kriecht?
Wer hat es denn gesehen?
Und wem gehörst du jetzt, zu wem?

Es schläft das Vaterland,
der Abend ist versehrt.
Über der Kathedrale im Kreml
steigt Asche jetzt auf.

Und draußen der Soldat,
am süßen Bissen Brot erfreut er sich.
Ein Bruder ist er dir, ein Sohn.
Wie bluterblüht der Apfelhain.

Oh, mein Kummer,
Nie war ich hier.
Wo ist die Grenze, wo ein Rand?
Wer hat es denn gesehen?
Und wem gehörst du jetzt, zu wem?

Asche bist du nun.

https://www.youtube.com/watch?v=12CsEuxN5vQ

Im Unterschied zu anderen russischen Künstlern verzichten Shortparis bei ihren Auftritten – die Band absolvierte kürzlich eine Tour durch Europa – auf politische Appelle oder Statements gegen den Krieg und Unterstützungsadressen oder Spendenaufrufe für die Ukraine. Das brachte ihnen auch immer wieder Kritik in der Öffentlichkeit ein, aber sie halten sich strikt an ihr Credo, dass ihre Kunst für sich selbst spreche. Dem kann man schwerlich widersprechen, etwa wenn man sich eine ihrer letzten Produktionen – Getto v ozere („Ghetto im See“) – anschaut. Sehen Sie sich die Videos auf Youtube an, Sie müssen nicht unbedingt Russisch verstehen um zu verstehen.

https://shortparis.com

https://vk.com/shortparis

23.11.2022

Olga Dmitriewa

Die in der ukrainischen Stadt Sumy geborene Künstlerin Olga Dmitriewa lebt und arbeitet heute in Kaliningrad, dem ehemals deutschen Königsberg. Die Malerin und Buchillustratorin ist Mitglied des russischen Künstlerverbands und hat auch im Ausland einen bekannten Namen. Ihre Arbeiten sind in den Museen in Kaliningrad zu bewundern oder befinden sich in privaten Sammlungen von Kunstliebhabern in Russland, Schweden, Deutschland, Frankreich oder Polen. Die Künstlerin ist auch bekannt für ihre Comics über zwei der größten Söhne Königsbergs, den Philosophen Immanuel Kant, und den romantischen Dichter E.T.A. Hoffmann. 

Aktuell arbeitet Olga Dmitriewa an einem Zyklus von Zeichnungen gegen den Ukrainekrieg. Die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema ist für sie eine Methode der persönlichen Bewältigung dieser Katastrophe. Im Interview mit der Online-Zeitung Severreal schildert sie, wie sie von den Ereignissen des 24. Februar derart überrumpelt und schockiert war, dass sie es einige Tage lang nicht fertigbrachte, sich bei ihren Freunden und Bekannten in der Ukraine nach deren Befinden zu erkundigen. In dieser Zeit sei ihr aber auch zum ersten Mal bewusst geworden, dass so negative Emotionen wie Zorn und Wut eine Katalysatorwirkung für ihr künstlerisches Schaffen entwickeln können. So machte sie sich unmittelbar nach Russlands Überfall auf die Ukraine an die Arbeit an einer mittlerweile siebzehn Werke umfassenden graphischen Serie gegen den Krieg. 

Als ich Olga Dmitriewa kontaktierte, um ihr Einverständnis zu diesem Porträt einzuholen, hat sie gleich zugesagt. Zu ihrer Motivation für ihre Arbeit an ihrem Antikriegs-Zyklus erklärte sie mir: „Als dieser furchtbare Krieg begann, habe ich als Künstlerin verstanden, dass die Kunst meine einzige Waffe des Protests ist. Jeden Tag erfassen mich aufs Neue Wut und Hass gegen den, der diesen Krieg begonnen hat. Ich habe meine Emotionen aus mir heraus aufs Papier gebracht, weil mir klar war, dass sie sonst meine Seele aus mir herausbrennen würden.” 

In Kaliningrad gehört es laut Dmitriewa zum guten Ton, zumindest ein wenig auf Deutsch zu lesen. Als die Leute diese „Z“ und „V“ sahen, jene Chiffren, mit denen die Fahrzeuge und Panzer der russischen Invasionstruppen gekennzeichnet waren und über deren Bedeutung lange gerätselt wurde, hätten viele das gelesen als „Zerstoren Vaterland“. Da Putin selbst ja auch deutsch spricht, meinten viele, er habe genau diese Losung im Sinn gehabt, als diese Buchstabensymbole plötzlich im russischen Alltag auftauchten.

„Einige Bilder meiner Antikriegs-Serie haben Kanadier gekauft, erzählte Dmitriewa der Zeitung Severreal. „Sie wollten ihren Freunden zeigen, dass es in Russland Künstler gibt, die mit der Politik Putins nicht einverstanden sind. Viele im Ausland verstehen, dass wir gerade eine neue Zukunft für Russland aufbauen. Und die Kunstschaffenden sind die Leuchttürme für alle anderen.”

Ihre Originalbilder verkauft Olga Dmitriewa zwar nicht, aber wenn Sie an Kopien interessiert sind, kann ich einen Kontakt herstellen. 

 

Quellen:

Olga Dmitriewa

https://www.severreal.org/a/vo-mne-razbilsya-russkij-mir-kak-hudozhniki-risuyut-vojnu/32130007.html

 

27.11.2022

Red Secrets

Meinen heutigen Eintrag in die Künstler-Galerie möchte ich zwei Personen gleichzeitig widmen – Agnieszka Holland und James Norton. Holland ist die Regisseurin des 2019 erschienen Films „Mr. Jones“, der bei uns unter dem Titel „Red Secrets – im Fadenkreuz Stalins“ in die Kinos kam. Hauptdarsteller James Norton verkörpert darin die Person des walisischen Reporters Gareth Jones, dem es dank seiner Hartnäckigkeit und einer gewissen Portion Naivität gelingt, hinter die Kulissen von Stalins Wirtschaftswachstum zu Beginn der 1930er Jahre zu blicken.

Dem jungen Reporter Jones, der sich durch ein Interview mit Adolf Hitler einen Namen gemacht hatte, gelingt es, ein Visum für Moskau zu bekommen. Dort will er einen weiteren journalistischen Coup landen und Josef Stalin vors Mikrofon bitten. Allerdings muss er schnell erkennen, dass sämtliche internationale Medienvertreter in Moskau an der kurzen Leine gehalten werden. Der höchst angesehene New York Times-Journalist und Pulitzerpreisträger Walter Duranty scheint sich überhaupt damit abgefunden zu haben, dass die noch junge Sowjetmacht die Medien nur als nützliche Verstärker ihrer eigenen Ideologie betrachtet. Resigniert zieht sich Duranty in eine zynisch-dekadente Parallelwelt zurück, die von Lasterhaftigkeit und grellen Ausschweifungen geprägt ist.

Jones wendet sich ernüchtert von Duranty ab, und versucht auf eigene Faust seine Recherchen voranzutreiben. Er will herausfinden, warum die Sowjetwirtschaft wächst, während die übrige Welt gerade eine schlimme Depression erlebt. Seine Erkundungen führen ihn auf abenteuerlichen Wegen bis in die Ukraine, wo er Zeuge einer gewaltigen Hungersnot wird. Auslöser dieser Hungersnot waren keine Missernten oder andere Naturkatastrophen, sondern die planmäßige Konfiskation der Getreideernten in weiten Teilen der Ukraine und im Kuban-Gebiet, durch deren Export das wirtschaftliche Überleben der jungen Sowjetunion abgesichert werden sollte.

Dieser großen Hungersnot von 1932-33, der in der Ukraine an jedem vierten Samstag im November unter der Bezeichnung Holodomor gedacht wird, fielen unterschiedlichen Berechnungen zufolge zwischen fast vier und mehr als zehn Millionen Menschen zum Opfer. Unabhängige Forschungsarbeiten zu diesem Thema schreiben dem Holodomor völkermordähnlichen Charakter zu, weil die Beschlagnahmung der Lebensmittel mit äußerster Brutalität exekutiert wurde, und die Bewohner der betroffenen Regionen mit Waffengewalt daran gehindert wurden, ihre Dörfer zu verlassen, und so dem mehr oder weniger sicheren Tod durch Verhungern preisgegeben waren.

© Filmprodukcja

Agnieszka Hollands Film basiert auf der wahren Geschichte des walisischen Reporters Gareth Jones, überzeugend verkörpert von James Norton. In der Ukraine wird Jones aufgrund seiner Berichterstattung über den Holodomor als Nationalheld verehrt. Er wurde 2008 vom damaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko posthum mit einem Verdienstorden ausgezeichnet. Hollands Film, der eine künstlerische Annäherung an das Thema darstellt, erhebt keinen Anspruch auf historische Authentizität. Dennoch traf er einen Nerv und sorgte natürlich für eine entsprechend kontroversielle Rezeption in Russland. Denn in der sowjetischen Geschichtsschreibung war der Holodomor bis zuletzt ein Tabuthema, und auch die Historiker des jungen Russland taten sich schwer mit diesem Thema, vor allem wenn es um die Frage ging, ob die Ereignisse der Jahre 1932-33 tatsächlich einen Genozid an der ukrainischen Bevölkerung darstellen. Im Oktober 2021 kam es bei einer öffentlichen Vorführung des Films am Moskauer Sitz der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial zu einem Eklat, als rund 30 Männer die Bühne stürmten und den Abbruch der Vorführung erzwangen.

2019, im Jahr seines Erscheinens, wurde „Red Secrets – im Fadenkreuz Stalins“ mit dem Grand Prix Golden Lions auf dem polnischen Filmfestival Gdynia ausgezeichnet. Hier ein kurzer Trailer von der Website der polnischen Produktionsfirma:

https://filmprodukcja.com/work/obywatel-jones/

2022

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