Nachrichten für Mit-Denker
Ernst Trummer, 1.12.2022
Eine Kurzfassung dieses Beitrags ist am 15.12.2022 in der Printausgabe der Wiener Zeitung erschienen.
Der Ton wird schärfer, die Sitten werden rauer. Über die zunehmend aggressive Stimmungslage in Politik und Gesellschaft im heutigen Russland.
Die Worte waren bedächtig gewählt, der Ton sachlich-nüchtern, der Habitus leicht ironisch. Das Thema – ein sachpolitisches, es ging um den kommunalen Wohnbau und um die Frage der rechtzeitigen Fertigstellung von Wohnungen in Belgorod: “Wenn ein Objekt nicht rechtzeitig übergeben wird, ist das schon eine Katastrophe, aber wenn es um fünf-sechs Objekte geht – gibt es als Strafe den Tod durch Erschießen. Eine Hinrichtung auf dem Kirchplatz mittels Köpfen. Öffentlich. In Anwesenheit der Verwandten.”
Der da so unbekümmert räsoniert, ist der Gouverneur der Oblast Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow. Adressat seines Urteils – die zuständige Ministerin, Oksana Koslitina. Die nimmt es mit Humor und gelobt, alles zu tun, um das Publikum nicht mit ihrem “abgeschlagenen Kopf erheitern” zu müssen. Festgehalten ist die Szene, die sich vor ein paar Tagen zugetragen hat, in einem kurzen Videomitschnitt einer Arbeitssitzung der Politiker, der auf dem Messengerdienst Telegram verbreitet wurde.
Im Kontext des Videos wird zwar klar, dass der Gouverneur sein Verdikt nicht ganz ernst gemeint hat, aber der Vorfall ist symptomatisch für die Art, wie in Russland Politik gemacht wird, vor allem, wenn damit bestimmte Stimmungsbilder für die Öffentlichkeit verbreitet werden sollen. Und der Umstand, dass es von dieser Posse überhaupt eine Aufzeichnung in Bild und Ton gibt, legt den Schluss nahe, dass hier eine Botschaft transportiert werden sollte. Seit dem Überfall auf die Ukraine und vor allem seit die militärischen Erfolge für Russland ausbleiben, werden die Auftritte von Politikern, Funktionären und Propagandisten immer schriller. Man kann sich als Beobachter schwerlich des Eindrucks erwehren, dass manche Protagonisten sich in einem skurrilen Wettbewerb wähnen, bei dem es scheinbar darum geht, einander mit jeweils noch aggressiveren Auftritten zu übertrumpfen.
Einer, der sich dabei besonders hervortut, ist Dmitri Medwedew. So lange sind die Zeiten noch nicht her, als der Ex-Präsident, damals Platzhalter für den zwischenzeitlich ins Premierministeramt übergewechselten Wladimir Putin, von manchen im Westen noch als Hoffnungsträger für den Demokratisierungsprozess in Russland gehandelt wurde. Heute eine geradezu absurde Vorstellung, gilt Medwedew doch mittlerweile aufgrund seiner bizarren Wortmeldungen in den sozialen Medien als einer der primitivsten Scharfmacher überhaupt. “Degenerierte Bastarde” zählt da noch zu den freundlicheren Attributen, die Medwedew dem Feind und seinen westlichen Unterstützern zueignet. Da müssen sich die hauptberuflichen TV-Scharfmacher vom Range eines Wladimir Solowjow oder einer Margarita Simonjan schon ordentlich anstrengen, um nicht hinter Medwedews Raserei zurückzufallen.
Ein paar Tage vor Gouverneur Gladkows Exekutionsphantasien hat ein wahrhaft grausiges Video großes Aufsehen erregt. Das darin gezeigte Geschehen war zwar auch eine Inszenierung, aber niemand hat darin mit der Pose eines “Richter Gnadenlos” kokettiert, sondern der Scharfrichter ist tatsächlich zur Tat geschritten: Einem russischen Ex-Häftling, der sich der Söldnertruppe “Wagner” angeschlossen hatte, einem gewissen Jewgenij Nuschin, wurde mit einem Vorschlaghammer der Schädel eingeschlagen. Die Vollstrecker der Hinrichtung – Schergen ebendieser Gruppe Wagner. Das Motiv für den brutalen Mord: Nuschin hatte sich an der Front den Ukrainern gefangen gegeben und danach verkündet, er wolle fortan auf Seiten der Ukraine gegen die russische Armee kämpfen. Mehr Verrat geht aus Sicht der Wagner-Kämpfer nicht: Wer sich als Häftling im Tausch gegen Straffreiheit von Wagner als Söldner für den Ukrainekrieg anwerben läßt, willigt ein, dass er bis zur letzten Patrone kämpft und sich unter keinen Umständen dem Feind ergibt.
Die Umstände, unter denen Nuschin den Wagner-Häschern in die Hände fiel, wurden nie restlos geklärt, am wahrscheinlichsten gilt, dass er im Rahmen eines Gefangenenaustausches an die Russen übergeben wurde, nach ukrainischer Lesart auf eigenen Wunsch. Zweifel an dieser Erklärung sind aber nicht von der Hand zu weisen, immerhin hatte Nuschin nach seiner Gefangennahme mehrfach in Interviews lautstarke Kritik an Russland und Präsident Putin geübt. Ihm musste bewusst gewesen sein, mit welchen Konsequenzen er im Falle einer Übergabe an russische Stellen zu rechnen hätte (ganz zu schweigen von dem Risiko, von den Wagner-Leuten noch einmal erwischt zu werden).
In Russland wegen Mordes und eines gescheiterten Versuchs, aus dem Gefängnis auszubrechen, zu insgesamt 28 Jahren Haft verurteilt, von denen er bereits 23 Jahre abgesessen hatte, hatte sich Nuschin im August der Söldnertruppe von Jewgenij Prigoschin angeschlossen. Prigoschin tourt seit Monaten durch die russischen Gefängnisse und Strafkolonien, um Kämpfer für seine Gruppe Wagner zu rekrutieren. Der Deal: Wer sich Wagner anschließt, muss seine Strafe nicht länger absitzen und erhält darüber hinaus einen für russische Verhältnisse üppigen Sold.
Prigoschin hatte sich als Wagner-Chef lange Zeit bedeckt gehalten, bis dann Mitte September ein Video auftauchte, in dem er vor russischen Häftlingen in einer Strafvollzugsanstalt in der Provinz auftrat, um neue Rekruten anzuwerben. Seitdem hat der oberste “Wagnerianer” jegliche Öffentlichkeitsscheu abgelegt. Anfang November öffnete das neue pompöse Wagner-Hauptquartier in Sankt Petersburg seine Pforten, deren Mission laut Prigoschin “die Schaffung einer Komfort-Zone für die Generierung neuer Ideen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Russlands” sei.
Prigoschin nannte das Video von der Liquidierung Nuschins, das über den Telegram-Kanal Grey Zone, dem eine Verbindung zur Wagner-Gruppe nachgesagt wird, verbreitet wurde, eine “hervorragende Regiearbeit” und schlug auch gleich einen passenden Titel vor: “Einem Hund gebührt ein hündischer Tod.”
Einige Tage später übergab ein Vertreter Prigoschins den Betreibern des dezidiert pro-russischen Telegram-Kanals Cyber_Front Z einen Vorschlaghammer in einem Musikinstrumentenkoffer – mit der Empfehlung, diesen jenen Abgeordneten des Europaparlaments zu überreichen, die sich dafür eingesetzt hatten, die Gruppe Wagner als terroristische Organisation zu brandmarken. In dem dazugehörigen Kurzvideo ist zu sehen, dass der Hammer eine Prägung mit dem Wagner-Schriftzug trägt und offenbar Spuren von (Theater-)Blut aufweist.
In Russland ist zuletzt eine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe entbrannt, nachdem sie jetzt jahrelang per Moratorium ausgesetzt war. Auch hier hat sich Dmitri Medwedew besonders hervorgetan. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichtshofs, Valerij Sorkin, hat sich auf einer russlandweiten Richterkonferenz in Anwesenheit von Wladimir Putin eher zurückhaltend zu dieser Idee geäußert und erachtet eine Verfassungsänderung als Voraussetzung für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Der nach Russlands Ausschluss aus dem Europarat erfolgte Austritt aus der Europäischen Konvention über den Schutz der Menschenrechte sei laut Sorkin jedenfalls keine hinreichende Begründung für die Aussetzung des Moratoriums, so der Telegram-Nachrichtenkanal “Agenstvo. Nowosti”. Ausserdem erinnerte Sorkin daran, dass Russland eine entsprechende Resolution der UNO-Vollversammlung mit einem Aufruf an alle Länder, die Todesstrafe auszusetzen, unterstützt habe.
Das hinderte Medwedew nicht daran, über die Verhängung und Exekutierung der Todesstrafe für Saboteure zu schwadronieren. Unterstützung erhielt er vom Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin, der die Todesstrafe in Kriegszeiten für angemessen erachtet. Selbstredend sind auch die Chefeinpeitscher im Staatsfernsehen für die Höchststrafe, wenn auch Margarita Simonjan diese (vorerst) nur in den Gebieten der Kriegsschauplätze angewandt wissen will. Wladimir Solowjow ist hier weniger zimperlich und fordert sie generell für Saboteure, Terroristen, Verräter und Deserteure.
Der Ton wird schärfer, die Sitten werden rauer. Das gilt in Russland heute im Kleinen wie im Großen. Was einer Bande von Mördern der Vorschlaghammer, ist dem Tyrannen im Kreml der Bombenterror gegen die zivile Infrastruktur in der Ukraine. Die Botschaft ist hüben wie drüben die gleiche: wir scheren uns um keine Regeln und Konventionen, wir schlagen so lange alles kurz und klein, bis wir unseren Willen durchsetzen.
Quellen:
https://www.bbc.com/russian/features-63656584
https://www.dp.ru/a/2022/11/04/Na_Zolnoj_ulice_v_Peterb
https://www.dp.ru/a/2022/11/13/Prigozhin_nazval_prekrasni
Hier die Publikation in der Wiener Zeitung:
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