Glossar

Ernst Trummer, 2.10.2022  

Могилизация

[Mogilizatsija]

Eine Verballhornung aus dem russischen mobilizatsija (Mobilmachung) und mogila (Grab). Die Endung -zatsija entspricht dem deutschen Postfix -ung bei der Substantivierung. Also wörtlich am ehesten „Vergräberung“ („Vergrabung“ gäbe dem ganzen hier einen falschen Dreh). Idiomatisch am treffendsten wäre aber wohl „Versargung“. Oder „Grab-Machung“, um zumindest eine lautliche Ähnlichkeit zu „Mobilmachung“ zu retten. Oder „Grab-Mobilmachung“…

Das Geniale an Mogilizatsija ist, dass es sich nur in einem einzigen Buchstaben vom korrekten Mobilizatsija unterscheidet und dadurch sehr ähnlich klingt, aber trotzdem die ursprüngliche Bedeutung in ihr krasses Gegenteil verkehrt. Wem das Copyright für diese Wortkreation gehört, kann ich nicht sagen, mir persönlich ist es zum ersten Mal in einem Vlog des ukrainischen Journalisten Roman Tsymbaliuk untergekommen. Anfangs dachte ich noch an einen Hörfehler meinerseits, danach war die Sache allerdings rasch klar – ein makabres, aber durchaus zutreffendes Wortspiel! Mogilizatsija passt auch gut zum Stil von Tsymbaliuk, dem es in seinen Auftritten merklich nicht auf Ausgewogenheit und Objektivität ankommt. Lieber versucht er seine Botschaften mit den Mitteln der Drastik und Überzeichnung unter die Leute zu bringen.

Die Wortschöpfung wurde sehr schnell von etlichen anderen Bloggern und Kommentatoren aufgegriffen, weil die Art und Weise wie die Einberufungen umgesetzt wurden, oft schlimme Vorahnungen weckten, wie es den frisch Rekrutierten an der Front ergehen wird. Legendär wurde in diesem Zusammenhang ein Handyvideo von einem Mobilmachungszentrum, wo eine Mitarbeiterin der Behörden den Einberufenen den gut gemeinten Rat erteilt, die Männer sollten sich von ihren Freundinnen, Frauen oder Müttern Tampons mitgeben lassen, die sie für eine Wund-Erstversorgung nach einer Schußverletzung verwenden können.

Hier der Clip, der sehr schnell viral ging, in einer Fassung mit englischen Untertiteln von Meduza:

https://www.youtube.com/watch?v=fEi8CYofHMc

severreal.org

Dieses Transparent ist ein gelungenes Beispiel für die Verwendung des Begriffs Mogilizatsija. Es hängt nicht etwa im russischsprachigen Teil in der Ukraine, sondern im Herzen Russlands, im Umland von St. Petersburg. Es zierte für kurze Zeit die Fassade eines Dorfladens des Unternehmers und Aktivisten Dmitrij Surikhin, dem wir einen eigenen Bericht in unserer Rubrik Das andere Russland gewidmet haben. Wer wissen möchte, was der Slogan des Transparents bedeutet, und wer dieser mutige Mann ist, liest hier weiter.

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